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Grundbildung als Aufgabe der Erwachsenenbildung

Samstag, 15. Februar 2020 | Lesezeit: | Tags: |

Intro ~ Der VHS-Kurs

Von September ’19 bis April ’21 war ich an der VHS Stadt Ludwigsburg Dozent für Deutsch im Kurs „Abendkurs zur Vorbereitung auf die Schulfremdenprüfung Hauptschulabschluss“. Was zunächst als „einfacher studentischen Nebenjob“ angenommen wurde, entpuppte sich schnell als höchst komplexe Bildungsaufgabe. Grund dafür war zum einen, dass meine Lerngruppe sehr heterogen war, aber zum anderen eben auch, dass es für die notwendigen Kursinhalte kein fixes Curriculum oder Lehrbuch geben kann und weiter, dass die Praxis des Kursformates zwischen Schulbildung, Erwachsenenbildung und Sozialer Arbeit changiert.
Diese Multi-Anbindung dürfte dem Format, das so auch nur von Volkshochschulen angeboten wird, inhärent sein und eröffnet, wenn man von der oft sehr kleinschrittigen Praxis einmal abstrahiert, ein bildungswissenschaftlich höchst interessantes Feld.

Denn aus dem Ziel des Kursformats ‚Schulfremdenprüfung Hauptschule‘ und seinem Teilnehmer- bzw. Adressatenkreis ergeben sich bzw. konfundieren drei pädagogische Logiken. Der Begriff „Pädagogische Logiken“ soll hier als eine praktische Gesamtheit von Planung, Begründung,Tätigkeit und Erfolgsdefinition gefasst werden, die jeweils einer pädagogischen Domäne zugeordnet bzw. darin begründet sind. Als Handlungs- und Begründungsmuster sind sie mehr als eine Didaktik, aber weniger als eine ganze Profession, weil die Arena dieser Praxen, ihr Austragungsort, eben nur diser einzelne VHS- Kurs ist.

Demnach zeigen sich im Kursformat:
1. Die Logik der Allgemeinbildenden Schule – begründet durch das Ziel der abschließenden schulischen Prüfung.
2. Die Logik der Erwachsenenbildung – da die Teilnehmenden alle Erwachsen sind und nach der Regelschulbildung eine neue Ausbildung aufnehmen.
3. Die Logik der Sozialpädagogik bzw. der Sozialen Arbeit – da sich viele der Teilnehmenden in einer prekären Lebenslage befinden, die nicht zuletzt auch durch den Mangel an Zertifikaten begründet ist, enthält der Kursverlauf immer auch Kämpfe gegen den Mangel und den schulfernen Habitus. Es kommt zur Fallarbeit.

Die Beziehungen dieser Logiken untereinander können kaum sachlich-zeitlich separiert und analysiert werden – es sind Anforderungen, Konventionen und Lebenspraxen, die als Komplex den Kursverlauf prägen. Das folgende Bild ist der Versuch, Position und Konnotationen dieser Logiken zu zeigen.

Grafisches Begriffsfeld des Kursformats Schulfremdenprüfung Hauptschule. Copyright: Claus Wilcke, 2020

Grundbildung/Bildungsarmut: Begriff und Definition

Der Begriff der Grundbildung verdrängt ab den 1990er Jahren im wissenschaftlichen Diskurs zunehmend jenen der Alphabetisierung, weil erkannt wird dass es hier nicht nur um die Kulturtechnik des Lesens geht, sondern um ein insgesamtes, speziell strukturiertes Bildungsangebot für sozial unterschiedlich situierte Zielgruppe (vgl. Abraham & Linde 2010, S. 889). In diesem Zusammenhang führte Allmendinger (1999) den Begriff der Bildungsarmut ein (vgl. ebd. S.4). Sie wird definiert als das Unterschreiten eines Minimums an Bildung, die zur sozialen und ökonomischen Teilhabe in einer Wissensgesellschaft vorhanden sein muss.

Wo genau die Schwelle zu dieser Lebenslage liegt, ist allerdings umstritten (vgl. ebd.). Allerdings schlägt Allmendinger vor, „das Fehlen des Hauptschulabschlusses als ein hartes und eindeutiges Merkmal für eine Unterversorgung mit schulischer Bildung aufzufassen“ (Voigt 2018, S. 5). Der Begriff der Grundbildung bezeichnet also grundsätzlich alle Interventionen gegen diese Bildungsarmut und kann so definiert werden:

Bildungsarmut ist die pädagogisch-soziologische Bezeichnung für eine Lebenslage, die durch den Mangel an Zertifikaten und (bescheinigten) Kompetenzen gekennzeichnet ist (vgl. Allmendinger 1999).

Diese mehrdimensionale Bildungsarmut zu bekämpfen, ist Aufgabe der sogenannten Grundbildung (Tröster & Schrader 2016; Abraham & Linde 2010).

- Abraham, E./Linde, A. (2010): Alphabetisierung/Grundbildung als Aufgabengebiet der Erwachsenenbildung. In: Tippelt, Rudolf/von Hippel, Aiga (Hg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Wiesbaden: Springer Fachmedien. S. 889–904.
- Allmendinger, J. (1999): Bildungsarmut: Zur Verschränkung von Bildungs- und Sozialpolitik. In: Soziale Welt, S. 35–50.
- Tröster, M./Schrader, J. (2016): Alphabetisierung, Grundbildung, Literalität: Begriffe, Konzepte, Perspektiven. In: Löffler, Cordula/Korfkamp, Jens (Hg.): Handbuch zur Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener. Münster / New York: Waxmann. S. 42–58.
- Voigt, M. (2018): Bildungsarmut: Determinanten, Herkunftseffekte und Mechanismen des Hauptschulübertritts. Wiesbaden: Springer VS.
Fortsetzung dieser Überlegungen in Kürze hier.
Zu diesem Themenkomplex existiert auch ein 40seitiger Praktikumsbericht, den ich auf Anfrage gerne teile.